Zen ist an keine Philosophie, Weltanschauung oder Religion gebunden und kann daher auch von Nicht-Buddhisten erfahren werden. Zen gründet zwar im Buddhismus, vermittelt aber keinen Glauben, kein Dogma, kein theoretisches Wissen, sondern eine Lebenshaltung und einen Weg zur wahren Menschlichkeit. Die tragenden Säulen des Zen sind Meditation und das Leben im bewussten Sein.
Wer sich mit Zen beschäftigt, wird bald erkennen, dass es ihm eine vollkommen neue Perspektive auf sich und die Welt ermöglicht. Die Einsicht in das eigene Wesen, mit der im Idealfall die Einsicht ins Wesen aller Dinge verbunden ist, das ist es, was Zen auch für viele Menschen hier im Westen so attraktiv und wertvoll macht, auch wenn sie nur bestimmte Bereiche in ihren Alltag integrieren können. Was ist nun also Zen?
Das Geheimnis des Zen ist die Praxis des Zazen: In einer Haltung tiefer Konzentration einfach nur sitzen, ohne Ziel und ohne Streben nach Erleuchtung. Die Zen-Meditation führt nicht in die Isolation, sondern sondern wirkt sich positiv auf Körper und Geist aus. Denn sie führt beide zurück zu ihrem normalen Zustand.
Zen ist der Weg zu unserer ursprünglichen Natur. Wenn das Ich-Bewusstsein überwunden ist, stirbt auch die Furcht vor dem Tod. Wo diese Erfahrung in einem Menschen stattgefunden hat, da formt und prägt sie Ausdruck und Haltung, bis sie im Leben des Einzelnen vollkommen integriert und dann in seiner Erscheinung – insbesondere für einen Meister – erkennbar ist.
Von Indien in alle Welt
Zen ist eine Variante des Mahayana Buddhismus, der sich wie alle buddhistischen Richtungen auf Siddhartha Gautama, den ersten Buddha in der Geschichte, bezieht. Dieser hatte nach langen Jahren der Askese und Meditation die vollkommene Erleuchtung erlangt und das Nirwana erreicht.
Um seine Erkenntnis auch anderen zugänglich zu machen, formulierte er die „Vier Edlen Wahrheiten“ über das leidvolle Dasein, dessen Ursachen und wie dieses Leiden zu beenden sei, nämlich durch den „Edlen Achtfachen Pfad“, der rechtes Denken und Handeln und die entsprechende persönliche Einstellung beinhaltet. Im Lauf der Jahrhunderte verbreitet sich diese ursprüngliche aus Indien stammende Lehre in ganz Asien.
Die Besonderheit des Meditations-Buddhismus besteht darin, dass die sieben ersten Stufen des Achtfachen Pfads lediglich als Vorbereitung für die achte Stufe, der kontemplativen Innenschau betrachtet werden. Auf dieser Basis entstand im 6. Jahrhundert n. Chr. der chinesische Chan-Buddhismus, in den Elemente des Taoismus und Konfuzianismus mit einflossen.
Weitere 500 Jahre später setzte sich diese Variante auch in Japan durch. Nicht ohne verschiedene Merkmale des dort vorherrschenden Shinthuismus aufzunehmen, und erfuhr in den folgenden Jahrhunderten als Zen seine Blütezeit. Der Begriff leitet sich vom Wort „Zazen“ (einfach sitzen) ab und ist mit dem chinesischen Chan und dem Sanskrit-Wort Dhyana verwandt, die beide mit „Versenkung“ übersetzt werden können.
Zen weist nur den Weg
Zen ist also keine einheitliche Bewegung. Neben den zahlreichen chinesischen und japanischen Traditionen gibt es weitere Varianten, zum Beispiel vietnamesische und koreanische. Und in der Gegenwart erreicht Zen auch im Westen eine größer werdende Anhängerschaft. Nach der Meinung seiner Anhänger ist im Zen-Buddhismus die Lehre Buddhas am ursprünglichsten erhalten. Da Buddha einst selbst vorgegeben hat, keine Schrift und kein Dogma als ehern und unangreifbar zu betrachten, sondern stets die eigene Erfahrung und Urteilskraft zu berücksichtigen, wendet sich Zen gegen abstrakte Rituale und misst heiligen Schriften sowie deren Auslegung durch Gelehrte keine größere Bedeutung bei.
Zen ist gegen alles religiöse Haften an der hergebrachten Form. Viel wichtiger ist die persönliche Erfahrung. Die Lehre kann nur im Innersten selbst erlebt werden. Zen kennt keine philosophisch intellektuellen Analysen und keine religiösen Dogmen. Dennoch besitzt Zen eine eigene Ethik, die von sorgender Liebe und Mitgefühl geprägt ist.
Dies ergibt sich konsequent aus dem Glauben, dass alles im Universum miteinander verbunden ist und somit jede Handlung – egal ob gut oder böse – wiederum auf ihre Verursacher zurückfällt. Auf die Frage, was Zen also eigentlich lehrt, gibt es demnach mindestens zwei Antworten: Es lehrt nichts, Zen weist nur den Weg, damit jeder Einzelne aus seinem Selbst heraus die richtigen Schlüsse ziehen könne, und es lehrt alles, ja das ganze Universum, da es die Trennung von Innenwelt und Außenwelt beseitige.
Mehr oder weniger Erleuchtung
In diesem Sinne ist es auch nicht möglich, Zen aktiv zu lehren. Es können lediglich die Voraussetzungen für spontane intuitive Einsichten der SchülerInnen durch verschiedene Meditationstechniken verbessert werden, um letztlich die Illusion eines Ich zu überwinden. Durch die Konzentration der Meditierenden büßen Vergangenheit und Zukunft ihre Bedeutung ein. In dieser Zeitlosigkeit verliert sich das Subjekt im Ganzen. Das Bewusstsein geht im Augenblick auf.
Im Rinzai-Zen ist das Ziel aller Bemühungen Satori, die plötzliche erleuchtende Erkenntnis vom universellen Wesen des Daseins. Demgegenüber steht beim Soto-Zen, wo die Erleuchtungserfahrung eine eher untergeordnete Rolle spielt, Shikantaza, das einfache Sitzen ohne Gedanken zu folgen oder zu verdrängen, im Vordergrund.
Zen strebt also mehr oder weniger eine mystische Einsicht jenseits der Vernunft an, die mit der persönlichen Lebensweise und Haltung eines Menschen untrennbar verbunden ist. Die vermeintliche Irrationalität des Zen rührt daher, dass eine zufriedenstellende Beschreibung und Erläuterung von Zen verbal prinzipiell nicht möglich ist, da es sich ausschließlich durch individuelle Einsicht erschließt.
Dabei kennt ein jeder Mensch gewisse Zen-Momente: Das Einswerden mit einer Menschenmenge auf einer Veranstaltung, beim Rezitieren oder Chorsingen sowie beim Hören von Musik oder die völlige Versenkung bei entspannenden Tätigkeiten.
Zen ist die Kunst des einfachen Lebens
Aber obwohl Zen nach Shunryu Suzuki, einem der großen Zenmeister im 20. Jahrhundert, nichts Aufregendes sondern Konzentration auf deine alltäglichen Verrichtungen ist, so bleibt doch festzuhalten, dass die Realisierung von Zen für den ego-zentrierten, im Subjekt-Objekt-Dualismus geschulten und gefangenen menschlichen Geist eine extrem große Herausforderung darstellt.
Übereinstimmend berichten Meister wie Schüler, dass alleine für die Überwindung der ersten Schwierigkeiten sehr viel Geduld aufgebracht werden müsse. Aber auch hier gilt: Der Weg ist das Ziel. – Der Zen-Weg ist die Kunst des einfachen Lebens.
Oder wie Meister Dogen formulierte, der im 13. Jahrhundert die Soto-Tradition von China nach Japan brachte: „Den Weg zu studieren, heißt sich selbst zu studieren. Sich selbst zu studieren, heißt sich selbst vergessen. Sich selbst zu vergessen, bedeutet eins zu werden mit allen Existenzen“.